Mit rund 20’000 Mitgliedern, 40 Berufsverbänden und 116 lokalen Gewerbevereinen ist Berner KMU der grösste Wirtschaftsverband im Kanton Bern. Lars Guggisberg, Direktor des Gewerbeverbandes Berner KMU, gibt Einblick in das Berner Unternehmertum. Dabei spricht der Berner Nationalrat über die Folgen der Pandemie, über den Fachkräftemangel, aber auch über Kampagnen und Projekte, wie «Lokal einkaufen – ein Herz für KMU», «Rendez-vous job» sowie «fair ist anders», womit die KMU-Wirtschaft gestärkt wird.
Sie sind seit dem 1. Juni 2021 Direktor des Gewerbeverbandes Berner KMU. Wie haben Sie das erste Jahr im neuen Amt erlebt?
Lars Guggisberg: Es war ein sehr spannendes und anspruchsvolles Jahr. Es gab schwierige, aber auch zahlreiche positive Momente. Dominierende Themen waren für viele Mitglieder und unseren Verband die teilweise sehr einschneidenden Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs: Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit, Rohstoffknappheit, abgeschnittene Lieferketten, Fachkräftemangel und massiv steigende Energiekosten etc. Schön festzustellen war einmal mehr, wie flexibel, unternehmerisch und krisenresistent unsere KMU unterwegs sind. Weitere Höhepunkte waren die zahlreichen Gewerbeausstellungen, die nach langem endlich wieder durchgeführt werden konnten.
Wie geht es den Berner Unternehmen im Sommer 2022? Wie hat die Berner KMU-Wirtschaft die zwei Jahre Pandemie überstanden respektive verdaut?
Diese Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten – es kommt auf die Branche an. Insbesondere die Betriebe in der Gastronomie, der Hotellerie sowie in der Event- und Reisebrache werden die Folgen der Corona-Krise noch lange spüren. Die staatliche Unterstützung hat dazu beigetragen, dass sich viele über Wasser halten konnten. Demgegenüber geht es u.a. dem Bau- und Baunebengewerbe sowie der IT-Branche derzeit sehr gut. Die Auftragsbücher sind in der Regel voll. Alles in allem lässt sich festhalten, dass die KMU die Krisen bisher gut gemeistert haben. Das zeigt ihre Krisenresistenz und ihre Fähigkeit, sich immer wieder neuen Situationen und Marktentwicklungen anzupassen. Eine sehr grosse Stärke unserer KMU!
Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Die Globalisierung hat in mancher Hinsicht Glaubwürdigkeit eingebüsst und das Augenmerk auf den lokalen und regionalen Produkten und Dienstleistungen ist in den Fokus gerückt. Wie spüren dies die Berner Unternehmen?
Stimmt! Die Krisen decken schonungslos auf, wie abhängig wir von ausländischen Importen geworden sind. Der vermehrte Fokus auf regionale und lokale Produkte ist ganz im Sinn unserer Kampagne «Lokal einkaufen – ein Herz für KMU». Diese Entwicklung ist eine der wenigen positiven Folgen der Corona-Krise. Letztlich geht es beim Kaufverhalten auch darum, Arbeitsplätze und Lehrstellen zu erhalten und damit unser weltweit einzigartiges duales Berufsbildungssystem zu stärken.
Seit Ostern finden nach der Pandemiepause wieder Gewerbeausstellungen statt. Wie wichtig ist diese regionale und lokale Wertschöpfung für das Berner Gewerbe?
Ich bin sehr dankbar, werden wieder Gewerbeausstellungen durchgeführt! Sie sind für den Austausch unter den Gewerblern sowie der KMU mit der Bevölkerung und den Vereinen von unschätzbarem Wert. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Gesellschaftliches Beisammensein, Produkte vor Ort präsentieren, sich kennen lernen, die Hand geben und in die Augen schauen, lässt sich nicht durch eine Videokonferenz ersetzen.
Es ist zentral, dass die Betriebe einen Ausbildungsplatz anbieten. Bald beginnt im August für viele Schulabgänger die Lehre. Wie sieht die Situation im Berner Gewerbe aus, respektive wie unterstützen Sie Ihre Mitglieder im Kampf gegen die Gleichwertigkeit der Betriebslehre gegenüber anderen Ausbildungsformen?
Der Mangel an Lernenden in gewissen Branchen ist derzeit eines der grössten Probleme der KMU. Wir sehen es als eine unserer dauerhaften Hauptaufgaben an, die Berufslehre als hervorragenden Einstieg in die Arbeitswelt zu bewerben. Junge Menschen, die sich für eine Berufslehre entscheiden, lernen früh den Umgang mit Kunden und die wichtige Fähigkeit, die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen. Für uns ist die Berufslehre der Königsweg, der eine spätere akademische Laufbahn nicht verhindert. Wir versuchen mit Projekten wie den Berner Erlebnistagen «Rendez-vous job», junge Menschen, Eltern und Lehrkräfte davon zu überzeugen.
Nach der erfolgreichen Durchführung der zweiten Ausgabe von «Rendez-vous Job» im März 2022 mit über 1’000 begeisterten Schülerinnen und Schülern, gehen die Berner Erlebnistage im März 2023 in die dritte Runde. Wieso sind diese Berner Erlebnistage Berufsbildung so erfolgreich?
Die Berner Erlebnistage ermöglichen es, den jungen Menschen, ihren Angehörigen und Lehrkräften, die Berufe – wie der Name es sagt – mit allen Sinnen zu erleben. Genau darin liegt das Erfolgsrezept von «Rendez-vous job»: Die Teilnehmenden können 1:1 mit aktuellen Lernenden erleben, was ein Beruf in der Praxis beinhaltet – was für eine spannende Tätigkeit beim Beginn einer Berufslehre auf einem zukommen wird. Das weckt in vielen Vorfreude und bei den Angehörigen und Lehrkräften die Überzeugung, dass sich ihre Kinder und Schüler auf den richtigen Weg in die Berufswelt begeben.
Vom 7. bis 11. September 2022 wird in Bern zum dritten Mal mit SwissSkills Bern 2022 der grösste Berufsbildungsevent der Schweiz durchgeführt. Welche Bedeutung hat dieser Mega-Event für die Berner KMU-Wirtschaft?
Die SwissSkills sind für die Berufsbildung und die KMU sehr wertvoll! Auch hier lässt sich hautnah miterleben, wie vielseitig und spannend die Welt der Berufsbildung ist. Jugendliche aus allen Teilen der Schweiz können vor Ort live mitverfolgen, was für herausragende Fähigkeiten in einer Berufslehre erlernt werden können und was für Emotionen die Berufswelt auslösen kann. Die Chance auf eine Goldmedaille und die Teilnahme an den WorldSkills weckt in den jungen Menschen den Ehrgeiz, ihr bestes zu geben.
Der Gewerbeverband Berner KMU verleiht alljährlich den «Berner KMU Award». Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für das Berner Gewerbe?
Es gibt unzählige Gewerblerinnen und Gewerbler, die sich fernab der Öffentlichkeit mit viel Herzblut und Leidenschaft verdienstvoll für KMU und die Berufsbildung einsetzen. Mit der Preisverleihung des «Berner KMU Awards» möchten wir solche Mitglieder aus den angeschlossenen Gewerbevereinen und Berufsverbänden ehren und ihnen ein Gesicht geben.
Immer mehr Unternehmen, welche ganz oder teilweise im Besitz der öffentlichen Hand sind, werden mit neuen Dienstleistungen zu direkten Konkurrenten von privatrechtlichen Unternehmen und Gewerbebetrieben. Seit vier Jahren lancieren Sie die Kampagne «fair ist anders». Was haben Sie mit dieser Kampagne bis jetzt erreicht?
Unsere Kampagne will vor allem sensibilisieren und Beispiele von Wettbewerbsverzerrungen aufdecken. Das haben wir bereits erreicht. Wir müssen den Druck auf die fehlbaren Unternehmungen erhöhen; sie müssen merken, dass sie im Fokus stehen und dass die Politik ihnen auf die Finger schaut. Sie haben es in der Hand, diesen Druck zu vermindern, indem sie ihr Verhalten ändern. Das ist vereinzelt auch schon passiert. Unsere Kampagne trägt auch politisch Früchte. In der Frühlingssession wurden zwei Vorstösse durch zur Definition gesetzlicher Leitplanken angenommen, was «Service public» darf und was nicht. Zudem haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, die wissenschaftlich fundierte und objektive Kriterien ausarbeiten wird, wie Staatsbetriebe sich wettbewerbsneutral verhalten sollen und wie diese Kriterien im Kanton Bern implementiert werden können. Dies mit dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse in anderen Kantonen, aber auch auf nationaler und kommunaler Ebene anzuwenden. Erste Ergebnisse möchten wir nach den Sommerferien präsentieren. Sie werden auch die Glaubwürdigkeit unserer Kampagne weiter verstärken.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Berner KMU?
Ich wünsche mir vor allem, dass Konsumentinnen und Konsumenten noch ausgeprägter die Wichtigkeit von KMU als Ausbildungsbetriebe und Rückgrat unserer Wirtschaft erkennen und weiterhin regional und lokal einkaufen. Dass sich junge Menschen vermehrt für eine spannende Laufbahn in der Berufsbildung entscheiden und dass die Politik nun rasch Leitplanken setzt, damit KMU nicht aufgrund ungleich langer Spiesse weiter unfair durch Staatsbetriebe konkurrenziert werden.
Interview: Corinne Remund
Fünf Nominierte für den fünften Berner KMU Award
Der Gewerbeverband Berner KMU freut sich sehr, die fünf Nominierten – die bis Ende September per Online-Voting auf seiner Homepage gewählt werden können – präsentieren zu dürfen:
- Fritschi AG Swiss Bindings (Stefan Ibach), Gewerbeverein Reichenbach
- Kambly AG (Dania und Nils Kambly), Gewerbeverein Trubschachen
- Toni Lenz, ehemaliger Präsident und Ehrenmitglied, Gewerbeverein Langnau
- Matter-Luginbühl AG (Oliver Matter), Gewerbeverein Kallnach
- René Wanner, Partyservice Sense / Metzgerei Wanner und Ehrenmitglied, KMU Amt Laupen